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Une biographie de Wolfgang Heine

Wolfgang Heinegeb. 3. Mai 1861 in Posengest. 9. Mai 1944 in Ascona/Schweiz

https://gedenkkultur-dessau-rosslau.de/assets/docs/18-33-personen-heinew.pdf

 

In einer entscheidenden Zeit stand der Politiker und Jurist Wolfgang Heine in der vordersten Reihe der anhaltischen Landespolitik: als Vorsitzender des Staatsrats war er von November 1918 bis Juli 1919 der politisch mächtigste Mann in Anhalt. Darüber hinaus hat Heine als preußischer Justiz- und Innenminister, als langjähriges Reichstagsmitglied für die Sozialdemokratische Partei, als Jurist und als fleißiger, kenntnisreicher Autor die politischen Geschichte Deutschlands, vor allem in den Jahren der Weimarer Republik, mitgeprägt.

 

Über das politische Wirken hinaus ist Heines Weltbild von Interesse. Ein näherer Blick zeigt, dass er keineswegs ein theorieferner Pragmatiker war, wie ihm oft vorgehalten wird. Heine handelte aus gründlichen Bildungshorizonten und wohlüberlegten Idealen heraus. Eine umfassende Darstellung und Würdigung seines Lebenswerkes, zumal seines Wirkens in Anhalt, steht noch aus.

 

Heine wuchs als Sohn eines Gymnasialdirektors hauptsächlich in Breslau auf, besuchte dort das Gymnasium und studierte anschließend in Breslau, Tübingen und Berlin zunächst Naturwissenschaften, später Rechtswissenschaften. Schon als Student war er politisch aktiv, vor allem im Verein Deutscher Studenten (Kyffhäuser-Verband), der sich für die Bildungpolitisch interessierter Studenten einsetzte. Nach Ende des Studiums trat Heine in den preußischen Justizdienst ein, entschied sich aber bald für den freien Anwaltsberuf. Von 1889 bis 1933 besaß er in Berlin eine eigene Rechtsanwaltskanzlei.

 

1887, also noch in den Zeiten des „Sozialistengesetzes“ – das von 1878 bis 1890 geltende Gesetz verbot sozialdemokratische Organisationen und Aktivitäten außerhalb des Reichstags und der Landtage -, wurde Heine Mitglied der Sozialdemokratischen Partei. Das persönliche Vorbild von unorthodoxen sozialdemokratischen Denkern und Politikern wie Georg von Vollmar (1850-1922) in Bayern und Leo Arons (1860-1919) in Berlin, die Schriftendes Gründers des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins Ferdinand Lassalle (1825-1864), des bürgerlichen Demokraten und Philosophen Friedrich Albert Lange (1828-1875) u. a.haben sein politisches Weltbild geprägt. Er schätzte auch die Schriften von Karl Marx und Friedrich Engels, wobei er dem damals in der Sozialdemokratie triumphierenden Marxismus gegenüber eine eigenständige Haltung bewahrte.1 Und er betonte wie einst Friedrich Engels, dass die deutsche Sozialdemokratie Erbin des Geistes der klassischen deutschen Philosophie und Literatur sei und sich dem würdig zu erweisen habe.2

 

Heine entwickelte sich schnell zu einem anerkannten Rechtsexperten in der Partei, vertrat häufig Genossen als Verteidiger in politischen Prozessen, formulierte Positionspapiere der Partei zu Fragen des Vereins-, Presse- oder auch Versammlungsrechts. Sehr bekannt wurde er im Jahre 1900 durch sein Engagement gegen das „Lex Heinze“, ein von de rReichsregierung erlassenes Gesetz, das die öffentliche Darstellung „unsittlicher“ Handlungen in Literatur, Theater und Kunstwerken unter Zensur stellen sollte; nach heftigen öffentlichen Protesten von Seiten der Sozialdemokratie und bürgerlich-liberaler Kreise musste der erste Entwurf des Gesetzes zurückgezogen und durch eine die Freiheit der Kunst stärker respektierende Fassung ersetzt werden.

 

1 W. Heine: Georg von Vollmar, in: Sozialistische Monatshefte, Jg. 1922, S. 641-645; ders.: Leo Aronszum Gedächtnis, in: ebenda, Jg. 1929, S. 875-880; Paul Kampfmeyer: Der demokratische SozialistWolfgang Heine, in: Sozialistische Monatshefte, Jg. 1931, S. 452-457; Torsten Kupfer: WolfgangHeine, in: Demokratische Wege. Deutsche Lebensläufe aus 5 Jahrhunderten, hg. v. M. Asendorf undR. von Bockel, Stuttgart u. Weimar 1997, S. 249.2 Wolfgang Heine: Preußische Wahlrechtsreform, in: Sozialistische Monatshefte 1918, S. 372.

 

Bald wurde Heine als einer der profiliertesten und gebildetsten Akademiker innerhalb der sozialdemokratischen Bewegung anerkannt, als Kenner nicht nur der aktuellen Politik und Rechtspraxis, sondern auch der europäischen Kulturgeschichte. Dabei war er theoretisch unorthodox, jedem Dogmatismus widerstrebend, ein unbequemer Selbstdenker. Das prägte auch sein öffentliches Auftreten als Redner und Parteistratege. „Agitationsphrasen“, theoretischer „Radikalismus“ waren ihm ein Gräuel, ebenso ein bewusster oder gedankenloser Opportunismus, der sich nach seiner Erfahrung – er sagte dies in späteren Jahren mit wachsender Trauer3 – auch in der Sozialdemokratie ausbreitete. Sein Weggefährte Paul Kampffmeyer (1864-1945) hat treffend betont: „Die Bekämpfung eines starren autoritären Zwanges ist der Grundton der ganzen öffentlichen Tätigkeit Wolfgang Heines.“4 Diese Geisteshaltung führte Heine fast zwangsläufig in den „revisionistischen“ Parteiflügel: Ab Mitte der 1890er Jahre wurde die „Revisionismusdebatte“ unter den Sozialdemokratenvehement geführt, kam es zu teils erbitterten Auseinandersetzungen um die Parteistrategie. Anhänger eines „orthodoxen Marxismus“ verteidigten die traditionelle Überzeugung, dass der Kapitalismus nur durch eine soziale Revolution, mit einer sich zuspitzenden allgemeinen Systemkrise als Hintergrund, zu überwinden sei. Parteiintellektuelle wie Heine kritisierten die Abstraktheit dieses Ansatzes und betonten demgegenüber die Notwendigkeit, bereits innerhalb des bestehenden sozialökonomischen Systems durch praktische Reformpolitik die werktätigen Massen am politischen Leben zu beteiligen, ihre Lage zu verbessern und auf diesem Wege die Überwindung des Systems zu gestalten.

 

In diesem Sinne trat Heine z.B .schon in den 1890er Jahren für die Beteiligung der Sozialdemokratie an den preußischen Landtagswahlen, obwohl auf Landtagsebene noch ein reaktionäres, die arbeitenden Schichten benachteiligendes Dreiklassenwahlrecht galt. In der Zeitschrift „SozialistischeMonatshefte“ vor allem hatten sich die „Revisionisten“, mit Eduard Bernstein (1850-1932) an der Spitze, ein einflussreiches Publikationsorgan geschaffen. Heine war über Jahrzehnte Autor der „Sozialistischen Monatshefte“, wahrte aber auch hier – und gerade auch Bernstei ngegenüber - einen eigenen Standpunkt.

 

1898 wurde Wolfgang Heine erstmals in den Deutschen Reichstag gewählt. Er hatte einen Reichstagssitz bis 1920 inne – die Kreise seiner politischen Wirksamkeit erweiterten sich dadurch beträchtlich. Nach innerparteilichen Auseinandersetzungen wechselte er zur Reichstagswahl 1912 von seinem ursprünglichen Berliner Wahlkreis in den Wahlkreis AnhaltI (die Region um Dessau und Zerbst), der nach dem Rücktritt von Kurt Eisner einen neuen Reichstagskandidaten suchte. Heinrich Peus (1862-1937) vor allem, der führende Mann der anhaltischen Sozialdemokratie, holte den ihm gedanklich nahestehenden Heine in diesen Wahlkreis.

 

Heine gewann 1912 den Reichstagswahlkreis Anhalt I für die Sozialdemokratie, hatte seitdem enge Kontakte zu den Spitzen der SPD in Anhalt und wurde auch darüber hinaus in Anhalt bekannt. Der Dessauer Bürgermeister Fritz Hesse (1881-1973) beschrieb den Eindruck, den der ihm zuvor nicht näher bekannte Heine auf ihn machte, wie folgt: „Der 50Jahre alte, mittelgroße Mann gehörte zu den Menschen, deren äußere Erscheinung kaum etwas von ihrem wirklichen Wesen verrät. Mit seinem rundlichen, zu einem großen Teil von einem kurz gehaltenen Bart verdeckten Gesicht hätte er auf den ersten Blick hin schwerlich besonderes Interesse für seine Person wecken können, wären nicht seine ungewöhnlich lebhaften Augen gewesen, die, ebenso wie seine Stimme, für seinen Gesprächspartner sofort das Temperament spürbar machten, das, von ihm klug gezügelt, Motor seines Wesens war (...) Sein freier Geist widerstrebte jeder Orthodoxie, auch auf politischem Gebiet. Das brachte ihn in häufige Konflikte mit der Berliner Parteiführung und ließ es ihm ratsamerscheinen, nach einem anderen Wahlkreis Umschau zu halten.“

 

53 W. Heine: Leo Arons zum Gedächtnis, a.a.O., S. 877.4 P. Kampfmeyer: Der demokratische Sozialist..., a.a.O., S. 455.5 Fritz Hesse: Von der Residenz zur Bauhausstadt, Dessau 1995, S. 70.

 

Nach Ausbruch des Weltkriegs im August 1914 verteidigte Heine den Standpunkt der SPD-Reichstagsfraktion, dass die Sozialdemokratie, ihrem Wesen nach ein Gegner von kriegerischen Auseinandersetzungen, nunmehr zur Verteidigung des Vaterlandes aufgerufen sei. Dem lag die Einschätzung zugrunde, dass es sich von deutscher Seite um einen Verteidigungskrieg handelte und dass gerade die arbeitenden Massen, trotz aller Ungerechtigkeiten des bestehenden politischen Systems, elementare Gründe für die Verteidigung ihrer Heimat, ihres Vaterlandes haben. In seiner Schrift „Gegen die Quertreiber!“ (1915) und weiteren Aufsätzen zu Kriegsbeginn begründete Heine diese innere Verbundenheit der arbeitenden Massen mit der deutschen Nation und Kultur, auch und gerade im Falle ihrer Bedrohung. Die Arbeiter – das war für Heine eine Vielzahl von Menschen, die durch zahlreiche Fäden im Gefüge der deutschen Nation und Kultur verankert waren; nicht durch den Produktionsprozess allein (der in der traditionellen marxistischen Theorie betont wurde), sondern durch ihr ganzes, vielgestaltiges Leben in Gesellschaft, Staat, Kultur, Heimatregion,Familie, Muttersprache u. a.

 

Gerade diesen umfassenden, nicht durch Vorurteil oder Konstruktion verstellten Blick auf das konkrete Leben hebt Heine an einem seiner großen Vorbilder, Georg von Vollmar, hervor: „Vollmar empfand stets die Gesamtheit des Lebens unmittelbar. Mit Auge und Ohr nahm er die Welt liebevoll in sich auf, sein klares reines Denken verarbeitete die Eindrücke, er trug nicht die gefärbten Brillen und Scheuklappen vorgefaßter Meinungen und tintenklecksender Theorien, er verlor sich nicht in Träumereien(...) Er vergaß in der Kritik an dem alten Staat, der wahrhaftig ihm persönlich das Übelste angetan hatte, nicht, daß dieser Staat, die, wenn auch noch so unzugängliche Organisationund Vertretung des deutschen Volkstums war.“6 Der auf diese Weise nicht nur abstrakt, sondern in seinem wirklichen Lebensprozess erkannte Arbeiter, so betonte Heine, „hat einV aterland; er vor allen, denn gerade er wurzelt im materiellen Dasein seiner unmittelbarenörtlichen und zeitliche Umgebung (...) Diese Gebundenheit an die Heimat gilt für den Arbeiter in weit höherem Grade als für den Angehörigen der herrschenden Klassen.“7 Mehrals andere habe der Arbeiter also gute Gründe, sein Vaterland im Falle der Bedrohung auch zu verteidigen. Daraus ergab sich die vehemente Ablehnung der „Quertreiber“, womit jene Minderheit in der Sozialdemokratie gemeint war, die sich gegen die sozialdemokratische Losung der„Vaterlandsverteidigung“ stellte: Karl Liebknecht hatte am 2. Dezember 1914 im Reichstag gegen die Bewilligung von Kriegskrediten gestimmt; Klara Zetkin, Franz Mehring und Rosa Luxemburg hatten in Presseveröffentlichungen den Standpunkt der SPD-Reichstagsfraktionverurteilt. Nach Heines Überzeugung vertraten diese Kritiker nicht nur eine weitgehend abstrakte, wirklichkeitsferne Konzeption – basierend auf dem alten Grundsatz von Karl Marx, dass Arbeiter kein Vaterland hätten -, sondern eine Konzeption mit vernichtendenKonsequenzen für die deutsche Arbeiterbewegung selbst:

 

Die Verweigerung der Vaterlandsverteidigung durch die Sozialdemokratie hätte 1914 nach Heines Überzeugungden Weltkrieg keineswegs verhindert; und sie hätte zudem inneren Bürgerkrieg heraufbeschworen und damit die Existenz der deutschen Nation auf zweifache Weise, von außen und innen, gefährdet.8 Heine argumentierte auch hier von der Interessenlage jener Schichten her, welche die SPD politisch zu vertreten suchte, und machte sich keineswegszum Parteigänger kriegstreibender und imperialistischer Kräfte, die er auch unter den in Deutschland Herrschenden erkannt hatte. Er bezog zudem seine Analyse des Krieges ausdrücklich auf die Situation von 1914, Anfang 1915 und ließ sich die Möglichkeit einer späteren Präzisierung oder Revidierung offen: „Ein Eroberungskrieg liegt bisher lediglich von Seiten Frankreichs vor, wo sogar die Sozialisten Elsaß-Lothringen erobern möchten,während seine extremen Nationalisten nicht weniger als das linke Rheinufer begehren. Auch auf Seiten Rußlands, das offen ausspricht, Oesterreich müsse zertrümmert werden, Galizien6

 

Wolfgang Heine: Georg von Vollmar, a.a.O., S. 642.7 Wolfgang Heine: Die Sozialdemokratie als nationale Partei, in: Vom inneren Frieden des deutschenVolkes, hg. v. Friedrich Thimme, Leipzig 1916, S. 459.8 Wolfgang Heine: Gegen die Quertreiber!, Dessau 1915, S. 4 f.

 

und Ostpreußen müßten dann Rußland fallen. Endlich auf Seiten Englands und Japans, die sich an den deutschen Kolonien bereichern wollen. Ich will damit nicht für unmöglich erklären, daß vielleicht im Laufe des Krieges auch auf deutscher Seite Eroberungstendenzen hervortreten könnten, die wir mißbilligen müßten, weil wir in ihnen den Kern zu neuen Kriegen sehen würden.“9 Die Schrift „Gegen die Quertreiber“ erschien im von Heinrich Peus geführten Verlag des Volksblatts für Anhalt in Dessau – ein weiterer Hinweis auf die Übereinstimmung zwischen Heine und Peus in einer grundsätzlichen Frage der politischen Strategie. Es drückt sich auch in diesen Schriften das für Heine charakteristische Bestreben aus, den Standpunkt der spezifischen Klasseninteressen und ihrer Gegensätze im Sinne einerproduktiven Synthese überwinden zu wollen. Wer nicht über „die Nasenspitze seines persönlichen und Klasseninteresses“ hinausblicke, so sagte Heine innerparteilichen Kritikern, der habe seinen Marx falsch gelesen.10 Heine verkennt nicht die je besondere Lage der einzelnen sozialen Gruppen und namentlich die schwierige Situation der arbeitenden Massen: ökonomische Ausbeutung, das Vorenthalten politischer Rechte, materielle Not u. a.

 

Aber es gibt für ihn eine grundlegendere Ebene jenseits der partiellen Situation undInteressenlage : die Zugehörigkeit zur Nation und, darüber hinaus, zur Menschheit, und die bestmögliche Teilhabe aller am Gesamtleben und am seiner Natur nach geistigen Gesamtschaffen der Nation und der Menschheit: „Das Wesentliche ist das Bewußtsein der gemeinsamen Kulturarbeit, des gemeinsamen Dienstes des Geistes (...) Der Geist ist eine gemeinsame Sache der Menschheit, die Herstellung seiner Herrschaft über die Materie das eigentlich Menschliche, das die Völker verbindet. Darauf beruht der ‚Internationalismus‘ der deutschen Arbeiter.“11 Das grundlegende Ziel der sozialdemokratischen Bewegung atmete für Heine eben diese gesamtnationale und menschheitliche Dimension: „Die politischen Zieleder Sozialdemokratie (...) erstreben eine Gesellschaft, in der ‚das Menschenkind zu blühen und zu singen wieder Muße hat‘.“12 – jedes Menschenkind, gerade der so lange an einemwürdigen ganzheitlichen Leben gehinderte Arbeiter. Die aus Kriegsnot, Kriegsniederlage, Friedens- und Gerechtigkeitssehnsucht erwachsene revolutionäre Situation von 1918 bot nach Heines Ansicht eine große Chance, diese Ideale durch eine neue Qualität von praktischer Politik voranzubringen. Dass namentlich die Sozialdemokratie berufen sei, verantwortlich an der Gestaltung dieser Chance mitzuwirken, schreibt er schon im Januar 1918: „Man kann die Volksherrschaft nicht beanspruchen, wenn man nicht bereit ist, namens des Volkes nach der Herrschaft zu greifen und alle Folgerungendaraus zu ziehen.“13 Auf den Trümmern des Kaiserreiches sollte ein „Volksstaat“ aufgebautwerden anstelle des bisherigen „Klassen- und Beamtenstaats“ und „Obrigkeitsstaats“. Keinesfalls sollte an die Stelle „alter Tyrannei“ die „neue Tyrannei“ einer bestimmten Gruppe oder Partei treten. Die Demokratisierung des politischen Lebens, die Stärkung des Parlamentarismus, die Ausprägung eines neuen Typs von politischen Parteien und ihrerZusammenarbeit, die wachsende Teilhabe der Massen am politischen Leben im Staate, die Stärkung ihres politischen Bewusstseins und Willens verstand Heine als elementareVoraussetzungen für das Erreichen dieser Ziele.

 

Nicht ein neuer kollektiver Wille allein, nicht eine solidarische Gemeinschaft allein konnten nach Heines Überzeugung die neue, sozialistische Ordnung hervorbringen. Nicht minderwichtig war für ihn, dass diese Ordnung auch den Wert und die Würde der einzelnen Persönlichkeit, die jeweilige Individualität achtete und ihr weitere Entwicklungsmöglichkeit bot. Nicht zufällig hat Heine sich intensiv mit pädagogischen Fragen befasst, hat er Freie Schulgemeinden und auch Landerziehungsheime unterstützt: in ihnen sollte die9

 

W. Heine: Gegen die Quertreiber, a.a.O., S. 20.10 Wolfgang Heine: Streikrecht, in: Sozialistische Monatshefte, Jg. 1922, S. 161.11 Heine: Der Sozialdemokratie als nationale Partei, a.a.O., S. 466. 12 Ebenda, S. 467.13 W. Heine: Der Weg zur Demokratie, in: Sozialistische Monatshefte, 8. Januar 1918, S. 4.

 

heranwachsende Generation einen freien, wissenschaftliche gebildeten Geist kennenlernenund zu „freien selbständigen Gemeinschaftsmenschen“14 heranwachsen.

 

Auf der gleichen Basis erwuchs Heines vehementes Eintreten für die Freiheit der Kunst und Wissenschaft .Diese waren für ihn die wichtigsten Garanten und Träger geistigen Fortschritts: „Die Menschheit käme nicht vom Fleck, wenn nicht immer neue Gedanken in ihr geboren würden und sich durchrängen (...) Der Weg der geistige Entwicklung geht durch Irrtümer und selbst durch Schädlichkeiten; es gibt keinen direkten Aufstieg zur absoluten Wahrheit. Nichts wäre schlimmer, als wenn Soziallisten die in en breiten Massen der Gesellschaft zur zeit herrschenden geistigen Kräfte als die letzten und endgültig berechtigten gegen das Neueverteidigen wollten. Sie wären dann nicht um eine Spur weniger Philister als die Anhängerdes Alten (...) Gerade der Gemeinschaft wegen muß der einzelne in geistigen Dingen unbegrenzte Freiheit genießen.“15 In diesem Geiste ist Heine z.B. 1921 für Arthur Schnitzlers umstrittenes Theaterstück „Der Reigen“ eingetreten: Er übernahm die Verteidigung der Direktion des Kleinen Schauspielhauses Berlin, die sich vor dem Berliner Landgericht wegen „unsittlicher“ und „pornographischer“ Inhalte des Stückes zu verantworten hatte, hielt eineviel beachtete, gegen engstirnige „Philistergesinnung“ wetternde Verteidigungsrede und erreicht den Freispruch seiner Mandanten.

 

Wolfgang Heines politisches Gewicht in Anhalt nahm in der Krisenzeit von 1918 weiter zu. Er wurde für die anhaltische Sozialdemokratie in die konstituierende Nationalversammlung gewählt, die die Weimarer Verfassung zu formulieren und zu beschließen hatte. Im November 1918 wurde Heine zu dem Vorsitzender des anhaltischen Staatsrates und damitdas Regierungsoberhaupt von Anhalt. Die inhaltliche Ausrichtung der neuen anhaltischen Verfassung vom 18. Juli 1919, in Abstimmung mit der Verfassung der Weimarer Republik, war wesentlich Heines Werk.16

 

Gleichzeitig hatte Heine ab Dezember 1918 die Leitung des preußischen Justizministeriums übernommen – was zu einer enormen Mehrfachbelastung führte: „Nur in einer Übergangszeit wie der damaligen erschien es tragbar, daß Heine nicht nur den anhaltischen Staat, sondern gleichzeitig das preußische Justizministerium leitete, in dem wichtige Entscheidungen ohne ihn nicht getroffen werden konnten. Es kam mehrfach vor, daß die Sitzung des Staatsrats durch den Anruf eines hohen Beamten seines Berliner Ressorts eine längere Unterbrechung erfuhr und die anderen Mitglieder des Staatsrats unfreiwillige Zuhörerbei den Weisungen wurden, die er als preußischer Justizminister nach Berlin erteilte. Sein Pflichtenkreis machte es nötig, daß er ständig zwischen Berlin, Dessau und Weimar hin und her pendelte.

 

Wenn ungeachtet seiner häufigen Abwesenheit die staatliche Verwaltung inAnhalt gut und reibungslos funktionierte, so war dies in erster Linie dem Verwaltungsgeschick seines Ministerialdirektors Kurt Müller zu verdanken“.17 Am 1. Mai 1919 war Heine der Festredner im Dessauer „Tivoli“ in der Amalienstraße, dem Versammlungslokal der Sozialdemokratie. Erstmals sollte der 1. Mai, bisher ein Kampftag der Sozialdemokratie, als allgemeiner Festtag des Volkes begangen werden. Diese neue Sinngebung – Überwindung der Klassenschranken, Entwicklung eines allgemeinen Zusammengehörigkeitsgefühls – ging wesentlich auf Heine zurück.18 Auch Fritz Hesse, als Vertreter der die Regierungskoalition mittragenden Deutschen Demokratischen Partei, hielt eine Festrede (im „Kristallpalast“ in der Zerbster Straße). Ein gemeinschaftlicher Festumzug und eine Maifeier im Friedrichsgarten rundeten das Programm ab. Im März 1919 wurde Heine preußischer Innenminister. Die neu, aufwändige Funktion schlossden Verbleib an der Spitze des anhaltischen Staates aus. Heine blieb bis zur Annahme der14

 

Paul Kampffmeyer: Der demokratische Sozialist..., a.a.O., S. 457.15 Wolfgang Heine: Die Sozialdemokratie für die Freiheit der Kunst, in: Sozialistische Monatshefte, Jg.1925, S. 680.16 Vgl. Torsten Kupfer: Sozialdemokratie im Freistaat Anhalt, Köln u. Weimar 1996, S. 60.17 Fritz Hesse: Von der Residenz..., a.a.O., S. 116.18 Ebenda, S. 118 f.

 

neuen anhaltischen Verfassung (18. Juli 1919) im Amt, um sich danach vollständig auf die Aufgaben in Preußen zu konzentrieren. Sein Nachfolger an der Spitze des Staatsrates wurde Heinrich Deist. Viele haben Heines Ausscheiden als anhaltischer Regierungschef bedauert, so auch Bürgermeister Fritz Hesse: „Heine hatte sich während der kurzen Zeit seiner Tätigkeit als Leiter der Regierung starke Sympathien erworben, und das hohe Niveau seine rReden in der Landesversammlung und der völlig undogmatische, weltoffene Geist, der aus ihnen sprach, hatte ihm auch bei seinen politischen Gegnern Respekt verschafft.“19

 

Auch nach dem Weggang aus Anhalt hielt Heine den Kontakt zu Dessau und seinen politischen Freunden aufrecht. Am 4. Dezember 1925, zur festlichen Einweihung des Dessauer Bauhausgebäudes, zählte er zu den Festgästen.20 Im März 1920 trat Heine vom Amt des preußischen Innenministers zurück. Er reagierte damit auf heftige Kritik, die vor allem durch den Deutschen Beamtenbund und die Gewerkschaften im Zusammenhang mit dem Kapp-Putsch gegen ihn erhoben worden war.21 Viele Landräte und andere Beamte hatten sich auf die Seite der Putschisten geschlagen. Heine hatte alsverantwortlicher Innenminister auf Verhandlungen mit den Putschisten gesetzt; doch nurdank eines von vielen Kräften getragenen Generalstreiks konnte der Putsch vereitelt werden. Man warf dem preußischen Innenmister falsche Personalpolitik, zu große Duldsamkeit gegenüber der alten Beamtenschaft vor. Er habe seine Entlassung eingereicht, so schreibt Heine an seinen, von ihm selbst vorgeschlagenen Nachfolger Carl Severing, weil erbe fürchten müsse, „die erforderliche Selbständigkeit in der Führung meines Amtes zuverlieren“.22 Es war in dieser Kritik an seiner Amtsführung eine Grundfrage seiner Weltanschauung berührt worden. Wie schon erwähnt, gehörten Toleranz, Duldsamkeit, die Achtung auch dem politischen Gegner gegenüber, die Einbindung unterschiedlicherpolitischer Kräfte und Experten in eine gemeinsame Gestaltungsaufgabe zu Heinesgeistigem Rüstzeug. Das bescherte ihm vielfach Respekt und Anerkennung; mehr noch bescherte es ihm Unverständnis, Vorwürfe und Widerstand, nicht zuletzt in der eigenen Partei.

 

Heines Standpunkt mag in der Tat für die damaligen gewaltsamen, von Parteiungenund Kämpfen beherrschten Zeiten für politische Führung wenig geeignet gewesen sein. Andererseits verliert dadurch Heines Überzeugung, eine neue Ordnung müsse solidarische Gemeinschaft und individuelle Freiheit – auch die Freiheit der Gegnerschaft – vereinigen können, nicht an geistigem Gewicht. Er selbst hat diese Fragestellung in späteren Jahren mehrfach erörtert. 1929 schreibt er rückblickend: „Als die Republik den Beamtenverfassungsmäßig das Recht einräumte, ihre politische Überzeugung frei zu wählen und zubetätigen, wußten wir ganz genau, daß sie diese Freiheit auch gegen die Republik gebrauchen könnten, aber wir durften nicht anders handeln. Wir konnten nicht an die Stelle einer alten Tyrannei eine neue setzen, ohne uns selbst untreu zu werden (...) Was wir ablehnen müssen, ist nicht ein Recht der Beamten, wahr und sich treu zu bleiben, sondern der Anspruch auf Lüge in der Lebensführung und auf Untreue gegen die eigen Arbeit“.23

 

Heine betätigte sich nach dem Ausscheiden aus der Regierung weiterhin als Anwalt. Zeitweilig (1923/25) war er Mitglied des Verfassungsgerichts („Staatsgerichtshof“) der Weimarer Republik. Er gehörte dem Reichsausschuss des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold, dem Deutschen Republikanischen Reichsbund, dem Verein zur Abwehr des Antisemitismus und weiteren republikanischen Organisationen an. Die politischen Entwicklungen der Endphase der Weimarer Republik, den Rückgang des demokratischenGeistes und der demokratischen Basis des Staatswesens kommentierte er mit Sorge.19

 

Ebenda, S. 137.20 Ebenda, S. 221.21 Heinrich August Winkler: Weimar1918-1933. Die Geschichte der ersten deutschen Demokratie,München 1993, S. 127.22 Carl Severing: Mein Lebensweg, Band 1, Köln 1950, S. 275.23 W. Heine: Leo Arons zum Gedächtnis, a.a.O., S. 879; vgl. auch W. Heine: Die Beamten der Republik, in: Sozialistische Monatshefte, Jg. 1926, S. 610-614.

 

Mehrfach forderte er alle republikanischen Parteien auf, ihre Parteiinteressen und Gegnerschaft zurückzustellen und im Dienste der Republik zusammenzuarbeiten.2411933 emigrierte Heine, mit 72 Jahren, in die Schweiz. Wolfgang Heine war zweimal verheiratet. Seine erste Frau starb früh. Aus der zweiten Ehe mit Emilie, geb. Vogel gingen stammten die Söhne Walther (* 1890) und Volker (* 1900).

 

 

Auswahl von Heines selbständigen Schriften

. Die Sozialdemokratie und die Schichten der Studierten, 2. Auflage Berlin 1898

. Wählen oder Nichtwählen? Ein Wort zur Frage der Betheiligung der Sozialdemokratie in den preußischen Landtagswahlen, Berlin 1898

. Vereinsgesetz vom 19. April 1908, Berlin 1908

. In den Fesseln Roms. Rede des Rechtsanwalts Wolfgang Heine im Kölner Gewerkschaftsprozeß, Düsseldorf 1913

. Die Rechtslage im Arbeiter-Turnerbund und das Reichsvereinsgesetz. Referate, gehalten aufdem Bundesturntag im Mannheim 1913, Leipzig 1913 (Hrsg., mit Johann Harnisch)

. Kultur und Nation, Chemnitz 1914

. Der Kampf um das Koalitionsrecht. Rede in der Sitzung des Reichstags am 22. Januar 1914,Berlin 1914

. Die politische Zukunft Deutschlands und die Sozialdemokratie, in: Die Kriegssitzungen desDeutschen . Reichstags. Zwei Reden. 22. Februar 1915 in Stuttgart, Stuttgart 1915

. Gegen die Quertreiber!, Dessau 1915

. Zu Deutschlands Erneuerung, Jena 1916

. Wer ist Schuld am Bürgerkriege? Rede des preußischen Justizministers Heine in der Landesversammlung, Berlin 1919

. Die Gründung von Freien Schul- und Werkgemeinschaften als Mittel zur Befestigung desneuen Staates und Schaffung eines neuen deutschen Geisteslebens, Berlin 1919

. Der Kampf um den Reigen. Vollständiger Bericht über die 6tägige Verhandlung gegen Direktion und Darsteller des Kleinen Schauspielhauses Berlin, Berlin 1922 (Hrsg.)

.Außerdem zahlreiche Veröffentlichungen in Zeitschriften und Tageszeitungen

Tag(s) : #Réformisme. Rosa Luxemburg
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