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Nov. 1899. Franz Mehring, à propos de la loi navale.

Franz Mehring: Eine dreischwänzige Katze

1. November 1899, Die Neue Zeit

 

[Die Neue Zeit, 18. Jg. 1899/1900, Erster Band, S. 161-164.

Nach Gesammelte Schriften, Band 14, S. 306-310]

 

Seit zehn Jahren ist die deutsche Nation auf der Höhe ihres weltgeschichtlichen Berufs, um im Stile der patriotischen Posaunenbläser zu sprechen, an jene wunderlichen Kreuz- und Quersprünge gewöhnt worden, die ihr einst das launenhafte Winkelregiment des Duodezdespotismus so unerträglich gemacht haben, und sie hat längst darauf verzichtet, feierliche Versprechungen, die deutsche Staatsmänner dem Reichstag geben, höher einzuschätzen als den Wind, der durch den Schornstein fährt. Gleichwohl hat der uferlose Marineplan, der vor einigen Tagen aus der offiziösen Pistole geschossen wurde, mit dem Reize einer vollen Überraschung gewirkt, und das ist eine in ihrer Art bedeutende Leistung, die nicht so leicht jemand dem Zickzackkurs nachmacht, obschon sie schwerlich in die ernsten Jahrbücher der Geschichte eingetragen werden wird.

 

Die Einzelheiten des ungeheuerlichen Attentats sind von der Tagespresse schon ausgiebig erläutert worden. Genug, die Regierung will, wenn anders der Chorus ihrer dienstwilligen Presse recht unterrichtet ist, den sechsjährigen Flottenplan, auf den sie sich dem Reichstag mit Hand und Mund verpflichtet hat, als einen wertlosen Fetzen Papier zerreißen und verlangt dafür einen siebzehnjährigen Flottenplan, der neue Geldopfer von vier- oder wie viel hundert Millionen Mark einschließt. Das fordert sie in der süffisantesten Manier, ohne auch nur die Spur eines sachlichen Grundes, rein ins Blaue hinein. In dem Tone, womit etwa ein „harmloser" Kavalier seinen Schuhputzer anfahren mag, wird dem deutschen Volke mitgeteilt, dass es sich das letzte Mark aus den Knochen saugen lassen solle, für den Hochgenuss, die Pickelhaube mit der Marinepuschel gekrönt zu sehen.

 

Dass denen, die immer noch hoffen und harren, die selbst am Grabe noch die Hoffnung aufpflanzen, dabei angst und bange wird, begreifen wir wohl. Wir würden ihre Empfindungen sogar teilen, wenn wir nicht seit lange darauf verzichtet hätten, von der irdischen Vorsehung, die über dem Deutschen Reiche waltet, Taten zu erwarten, die unser beschränkter Untertanenverstand als richtig einzusehen vermöchte. Je toller, desto wahrscheinlicher: Nach diesem einfachen Rezept lässt sich der staatsmännische Gang der Dinge in unserem gesegneten Vaterland stets vorausberechnen, auch für Leute, denen sonst keine Ader vom Propheten gegeben ist, wobei wir jedoch gerne zugeben, dass auch der erfahrenste Kenner des Zickzackkurses vielleicht den ungläubigen Thomas gespielt hätte, wenn ihm vor vier Wochen das neueste Extrastückchen vorhergesagt worden wäre. Mit der zauberhaften Geschwindigkeit, womit der Pudel in Faustens Studierzimmer zum Elefanten anschwoll, wirft die Marinepuschel diesen genial-grotesken Schatten.

 

Jedoch ist unsere leichte Verwunderung keineswegs mit dem Schrecken vermischt, den die ewig hoffenden und vertrauenden Patrioten über den neuesten Flottenplan empfinden und von ihrem Standpunkt allerdings auch empfinden müssen. Im Gegenteil: Wer den begreiflichen Wunsch hegt, dass die politischen Zustände innerhalb des Deutschen Reiches in die Geleise lenken, in denen sich die Geschicke zivilisierter Nationen vollziehen, der wird, natürlich von seinem besonderen Standpunkt aus, die neuesten offiziösen Flottenartikel nicht ohne Genugtuung begrüßen. Die Frage, ob es für die Geduld des deutschen Michels überhaupt eine Grenze gibt, mag nicht leicht zu entscheiden sein, aber wenn es eine solche Grenze geben sollte, was bei alledem doch aus Gründen der Loyalität angenommen werden muss, so wird sie jetzt erreicht sein. Eine Nation, die sich eine so frivol-übermütige Behandlung demütig gefallen ließe, würde in der Tat im Rate der europäischen Völker nur noch die Rolle des Lakaien beanspruchen können, und dieses Maß patriotischer Resignation möchten wir denn doch dem deutschen Philister nicht ohne die zwingendsten Beweise zumuten.

 

Deshalb geben wir uns freilich keinen Selbsttäuschungen über die Gefahr der Lage hin. Die Marinepuschel des Zickzackkurses wäre an und für sich mehr zum Lachen als zum Weinen, wenn sich ihrer nicht sehr einflussreiche und mächtige Interessentenkreise zu bemächtigen gewusst hätten. Dahinter steht der großindustrielle Klüngel, der von der uferlosen Vermehrung der Kriegsflotte die ungeheuersten Profite zu erwarten hat und diese Profite einzuheimsen unter allen Umständen entschlossen ist. Er hat sich in den letzten Jahren starke Agitationsmittel zu schaffen gewusst, namentlich auch in der Presse; er versteht einen gewaltigen Spektakel zu machen von des Vaterlands Größe und des Vaterlands Glück, die nur durch ein drittes und viertes Kriegsgeschwader gesichert werden könnten, und wenn diese Trommel Tag für Tag mit betäubendem Lärme gerührt wird, so bleibt vielleicht doch etwas hängen in den schwach konstruierten

 

Hirnen desjenigen Patriotismus, der hinter den bürgerlichen Stammtischen gepflegt wird. Dabei ist denn auch nicht zu übersehen, dass der blendende Glanz der großindustriellen Profite sehr weit strahlt und mittel- oder unmittelbar durch tausend Kanäle sich mildernd auf die Opposition auch derjenigen bürgerlichen Blätter ergießt, die nicht im Solde der großindustriellen Paschas stehen und im richtig verstandenen Interesse der bürgerlichen Klasse dem Militarismus und Marinismus nicht alle Tore öffnen wollen. Schon in den wenigen Tagen, seitdem die offiziösen Flottenartikel veröffentlicht worden sind, hat man sehr merkwürdige Symptome dieser Art an der linksliberalen Presse beobachten können.

 

Indessen sowenig, wie die Marinepuschel des Zickzackkurses, gibt die großindustrielle Profitagitation für den uferlosen Flottenplan der politischen Situation die eigentlich gefährliche Spitze. In bürgerlichen Oppositionsblättern wird fort und fort gefragt: Wie kann die Regierung, die doch in der Kanal- und Zuchthausvorlage genugsam verheddert ist, sich in dies neue, in seinem Verlaufe ganz unabsehbare Abenteuer stürzen? In der Tat sieht die Sache wunderlich genug aus, und doch ist die erschöpfende Antwort sehr einfach und kurz; sie lautet: Ebendeshalb! Der uferlose Flottenplan hat den Zweck, der Regierung aus der Sackgasse der Kanal- und Zuchthausvorlage herauszuhelfen. Mit dankenswerter Offenheit haben die Tintenkulis der Krupp und Stumm die Lösung des Rätsels gegeben: Die Kosten des neuen Flottenplans sollen durch die Erhöhung der Getreidezölle beschafft werden. Großindustrie und Großgrundbesitz scheffeln dann mit vollen Händen ein, die „Sammlungspolitik" feiert endlich den lang ersehnten Triumph, und die Zuchthausvorlage gelangt sehr schnell in den Hafen. Hat sich auf dieser Grundlage der Bund der schönen Seelen geschlossen, so ist – sei es nun so oder so – die Einigung über die Kanalvorlage leicht, die jetzt der Regierung und dem Junkertum wie ein schwerer Stein im Magen liegt.

 

Der Plan ist vollkommen klar, und nur unheilbare Illusionäre können daran zweifeln, dass die höchste Kraft aufgeboten werden wird, ihn durchzuführen und für die Massen die dreischwänzige Katze zu flechten: uferloser Flottenplan, Brotwucher, Zuchthausvorlage. Es ist dieselbe politische Konstellation, die seit zwanzig Jahren immer von neuem auftaucht und die auch immer wieder auftauchen muss, weil sie der ökonomischen Entwicklung Deutschlands entspricht. Einerseits der erbitterte und wilde Kampf zwischen Kapitalprofit und Grundrente um den größeren Anteil am Mehrwert, andererseits der siegreich vordringende Emanzipationskampf des Proletariats gegen die den Mehrwert an sich raffenden Klassen. Da drängt sich diesen Klassen allemal der Ausweg auf, den Einklang ihrer holden Interessen dadurch herzustellen, dass sie die Arbeiterklasse gewaltsam knebeln und die geknebelten Massen auf Halbpart plündern. Diese lukrativ-pfiffige Politik mag wohl die Namen wechseln, sich 1878 Umsturzvernichtung, 1887 Kartell, 1899 Sammlung nennen, im Wesen der Sache bleibt sie immer dieselbe. Nur muss sie sich, da sie historisch nichts anderes ist als ein Leben von der Hand in den Mund, mit jedem ihrer Anfälle steigern; sie ist Raubbau der gemeingefährlichsten Art und scheut je länger je weniger auch vor den verzweifeltsten Mitteln nicht zurück. Darin liegt die große Gefahr, von der die neuesten Flottenpläne den Schleier fortgezogen haben.

 

Aber gerade was diese Politik so gefährlich macht, macht sie auch wieder ungefährlich, mit anderen Worten: Je weiter sie ausholt, um so mehr gibt sie ihre Flanke preis, und die Massen, um deren Haut und Knochen gespielt werden soll, können ihr den Stoß ins Herz geben, wenn sie endlich den inneren Zusammenhang der Dinge überschauen lernen und sich nicht, wie in den Jahren 1878 und 1887, durch patriotische Redensarten betören lassen. Dank dem Fortschreiten der sozialdemokratischen Agitation ist die Kartellpolitik von Jahr zu Jahr schwieriger geworden; was 1878 noch verhältnismäßig leicht von Bismarck durchgesetzt wurde, das gelang ihm 1887 nur noch mit Ach und Krach, und seitdem haben alle Rattenfängermelodien des Herrn v. Miquel die ersehnte „Sammlung" noch nicht bewerkstelligen können. Je mehr sich der Hader zwischen Grundrente und Kapitalprofit verwickelt und je höher sich die Einsicht der Massen in ihre wahren Interessen entwickelt, desto tollköpfigere und waghalsigere Mittel müssen ins Spiel gesetzt werden, wofür eben der neueste Flottenplan den schlagendsten Beweis liefert. Scheitert er elendiglich, wie er es unter jedem Gesichtspunkt verdient, so mag die Regierung den Reichstag auflösen oder sonst tun, was ihr beliebt, sie gerät dann um so tiefer in den politischen Bankerott, während das Gelingen des Flottenplans ihrer traurigen Wirtschaft eine Galgenfrist sichern und dem Proletariat eine Periode heftigster Unterdrückung und Verfolgung bescheren würde.

 

Daran würde auch nichts geändert, wenn die „Weltmachtpolitik", die durch den uferlosen Flottenplan eingeleitet werden soll, nicht bloß die Fata Morgana wäre, die sie tatsächlich ist. Alle Vorteile, die ihr nachgerühmt werden, sind wie Stäubchen in der Waagschale gegen die drückende Last, die sich mit dem Siege des Flottenplans auf die deutsche Nation senken würde. Deshalb muss er klipp und klar, ohne alles Wenn und Aber bekämpft und niedergezwungen werden. Es wäre traurig, wenn auch nur ein Arbeiter auf das Gerede der nationalsozialen Schwarmgeister hören wollte, die den Flottenplan dadurch annehmbar machen möchten, dass sie fordern, seine Kosten sollten durch eine Einkommen- oder Erbschaftssteuer aufgebracht werden. Das wird selbstverständlich nie geschehen, und es würde auch dann nicht geschehen, wenn sämtliche Mitglieder der Reichsregierung dafür ihr Wort vor Mit- und Nachwelt verpfänden würden. Was auf solche Versprechungen zu geben ist, das ist nachgerade weltbekannt. Schade um die Prise Schnupftabak, die darauf verwettet werden würde!

 

Gelingt es, das Attentat des neuesten Flottenplans rücksichtslos abzuschlagen, so wird der Krug endlich zerbrechen, der allzu lange zu Wasser gegangen ist; andernfalls aber wird die deutsche Nation mit einer dreischwänzigen Katze so blutig gezüchtigt werden wie nie zuvor.

Tag(s) : #Militarisme. Rosa Luxemburg
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