Extrait de Volker Emmrich, Friedrich Engels, die deutsche Sozialdemokratie und der Kongreß der II. Internationale 1893 in Zürich
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Ebenso lebhaft wie die Taktikdebatte entwickelte sich in Zürich die Aussprache zu dem Problemkreis "Stellung der Arbeiterklasse im Kriegsfalle" .
Diese Verhandlung nahm zwei Tage in Anspruch und war eine direkte Fortsetzung der Brüsseler Diskussionen von 1891.
Durch die Nominierung des russischen Sozialdemokraten Georgi Plechanow zum Referenten erhielt sie neue Gedanken, vor allem durch die Entlarvung der reaktionären Rolle der zaristischen Selbstherrschaft in Europa.
Plechanow informierte den Kongreß, daß die Kommission zwei Resolutionsentwürfe beraten habe.
Zum einen den der deutschen Sozialdemokraten, der den engen Zusammenhang zwischen Kapitalismus und Krieg nochmals unterstrich und die Arbeiter aufrief, dem Chauvinismus der herrschenden Klassen den proletarischen Internationalismus entgegenzustellen. Namens der Kommission empfahl Plechanow die Annahme dieser Beschlußvorlage.
Zum anderen lag ein Resolutionsentwurf der Holländer vor, den Nieuwenhuis als Korreferent begründete. Er forderte, einen Kriegsausbruch mit allgemeiner Arbeitseinstellung und militärischer Dienstverweigerung zu beantworten. Zu jenen Diskussionsrednern, die diese Vorschläge für undurchführbar und utopisch hielten, gehörte auch Wilhelm Liebknecht. Er sah darin lediglich eine Chance für die Militaristen, "die sozialistische Bewegung mit eiserner Faust niederzuschlagen". Der Militarismus müsse aber "durch den Geist des Sozialismus", durch "unermüdliche Propaganda im Volk" gelähmt werden.52 Liebknecht widersprach Nieuwenhuis entschieden: "Seit ihrem Bestehen hat die deutsche Sozialdemokratie nicht einen Groschen bewilligt. Gegen jede Militärvorlage haben wir protestiert und gestimmt. Aber wir haben uns nicht mit blinden Protesten begnügt; wir haben auch im Volke mit all unsern Kräften agitiert."s3 Ein Ergebnis dieser Verbindung des parlamentarischen Kampfes mitaußerparlamentarischen Aktionen wäre gerade der Ausgang der Reichstagswahl vom Juni 1893 gewesen.
Obwohl damit von Liebknecht Möglichkeiten einer wirksamen Bekämpfung des Militarismus angedeutet wurden, nahm der Kongreß auch 1893 die Frage nach antimilitaristischen Kampfmethoden, die über den parlamentarischen Rahmen hinausgingen, nur vereinzelt auf. Freilich vertrat Nieuwenhuis einen unhaltbaren Standpunkt, er vergaß, wie Lenin später hervorhob. "daß die Anwendung des einen oder anderen Kampfmittels nicht von einem vor· herigen Beschluß der Revolutionäre abhängt, sondern von den objektiven Bedingungen der durch den Krieg hervorgerufenen wirtschaftlichen wie politischen Krise"84. Dennoch war die Forderung nach wirksamen Kampfmaßnahmen gegen Militarismus und Krieg nicht unberechtigt. Die von der Mehrheit der Delegierten gebilligte Resolution der deutschen Sozialdemokratie entsprach nicht in allen Punkten den Erfahrungen der internationalen Arbeiterklasse.
Daran änderte auch die Annahme eines Zusatzantrages der belgischen Delegation wenig, der die sozialdemokratischen Abgeordneten in allen gesetzgebenden Versammlungen verpflichtete, nicht nur gegen den Militarismus zu protestieren und für eine Entwaffnung einzutreten, sondern auch die Militärkredite abzulehnen.85 Demgegenüber erhielt die antimilitaristische Bewegung durch den Züricher Maifeierbeschluß neue Impulse.
Auf Antrag der deutschen Sozialdemokraten sollte der 1. Mai künftig auch als Kampftag für den Frieden und gegen den Krieg begangen werden. "Die Kundgebung des 1. Mai für den Achtstundentag", so lautete der Beschluß, "soll zugleich eine Kundgebung des festen Willens der Arbeiterklasse sein, durch die soziale Umgestaltung die Klassenunterschiede zu beseitigen und so den einzigen Weg zu betreten, der zum Frieden innerhalb jedes Volkes wie zum internationalen Frieden führt."86 Damit bekräftigten die Kongreßdelegierten noch einmal die schon in