Overblog
Editer l'article Suivre ce blog Administration + Créer mon blog

04.1910. "Die Maifeier im Zeichen des Wahlrechtskampfes". "Die Maifeier ist zugleich ein Ruf nach Weltfrieden und Völkerverbrüderung, ein Protest gegen die brutale Gewalt des Klassenstaates, den Militarismus ... Die Empörung und der Hass gegen die Säbelgewalt des kapitalistischen Staates, als Waffe der Unterdrückung fremder Völker und als Waffe der Versklavung gegen den „inneren Feind", die aufstrebende Arbeiterklasse, müssen in diesem Jahre bei der Maifeier einen lauteren, kräftigeren Ausdruck finden als je zuvor.é...

Citation

 

Die Maifeier ist zugleich ein Ruf nach Weltfrieden und Völkerverbrüderung, ein Protest gegen die brutale Gewalt des Klassenstaates, den Militarismus. Der gegenwärtige Wahlrechtskampf hat den Massen des Proletariats in Preußen wieder die Bedeutung dieser brutalen Waffe des herrschenden Staates so recht zum Bewusstsein gebracht. Der blanke Polizeisäbel und die im Hinterhalt mit scharfer Munition geladene Kanone waren ja die erste Antwort der preußischen Reaktion auf die Forderungen der Arbeiterschaft. Und haben wir es auch durch die unerschütterliche Kampfposition unsererseits fertiggebracht, dass der rasselnde Polizeisäbel vorläufig in die Scheide zurückgesteckt worden ist, so schleppte sich doch noch selbst den vergangenen Demonstrationen ein Rattenkönig von Prozessen gegen unsere Demonstranten und unsere Presse nach, als dessen Folge die Kämpfer um das gleiche Wahlrecht im Gefängnis ihren freventlichen Widerstand gegen die Polizeibrutalitäten noch nachträglich abbüßen müssen. Die Empörung und der Hass gegen die Säbelgewalt des kapitalistischen Staates, als Waffe der Unterdrückung fremder Völker und als Waffe der Versklavung gegen den „inneren Feind", die aufstrebende Arbeiterklasse, müssen in diesem Jahre bei der Maifeier einen lauteren, kräftigeren Ausdruck finden als je zuvor.

 

Die Maifeier im Zeichen des Wahlrechtskampfes

 

[Erschienen in der „Dortmunder Arbeiterzeitung" am 20. April 1910.

Nach Gesammelte Werke Band 4, 1928, S. 523-526]

 

Am vorletzten Sonntag hat das klassenbewusste Proletariat Preußens seinen ersten großen Sieg im gegenwärtigen Wahlrechtskampf gefeiert: das Recht auf die Straße, das Recht der Massendemonstration ist errungen worden. Es ist nun das erste Gebot einer echten Kampftaktik, jede Errungenschaft sofort vollauf auszunutzen, jede dem Gegner abgetrotzte Position des Schlachtfeldes sofort bis auf den letzten Fußbreit zu besetzen, um so die Schlachtlinie im Ganzen vorwärts zu schieben, den Gegner Schritt für Schritt zurückzudrängen.

Das Recht auf Straßendemonstrationen, das wir errungen haben, soll und muss vollauf ausgenutzt werden, als vorzüglichstes Mittel, die Massen zu sammeln, sie aufzurütteln, sie aufzuklären, sie mit Kampfesmut zu erfüllen, als vorzüglichstes Mittel, die Macht der klassenbewussten Arbeiterschaft sichtbar zu entfalten und den Gegnern vor die Augen zu führen.

Im gegenwärtigen Augenblick ergibt sich von selbst der nächste Termin für eine abermalige gewaltige Massendemonstration des einheitlichen revolutionären Willens des Proletariats: es ist das der 1. Mai.

In diesem Jahre fällt zum Glück der leidige Streit um die Maifeier von selbst weg, jener Streit, der zweifellos dem Maigedanken in hohem Maße geschadet, die Tatkraft unserer Agitatoren gelähmt, die Begeisterung der Massen für die Maifeier abgekühlt hat. Der Streit um die Maifeier als Arbeitsruhe ist für dieses Jahr erledigt, weil die Maifeier auf einen Sonntag fällt. Alle überzeugten Freunde der Maifeier könnten diesen Umstand eigentlich bedauern. Denn die Zeichen, unter denen die Maifeier in diesem Jahre heranrückt, die allgemeine Erregung der Geister, die Kampfeslust der Massen, das alles würde zweifellos die heurige Maifeier zu einer so machtvollen Demonstration auch in der Form der Arbeitsruhe gestalten, dass der bedauernswerte Streit um die Maifeier durch die Praxis die glücklichste Lösung gefunden hätte. Allein, wenn nicht als Arbeitsruhe, kann die Maifeier in diesem Jahre doch einen ganz ungeahnten Aufschwung nehmen und die größte Tragweite erhalten – durch die Form der allgemeinen, einheitlichen Straßendemonstrationen, gerade als eine Fortsetzung des im Wahlrechtskampfe errungenen neuen Kampfmittels der Sozialdemokratie, kann und muss die Maifeier aus der Stagnation der letzten Jahre wieder aufsteigen und ihre innere werbende und zündende Kraft entfalten.

Wann waren in der Tat die leitenden Gedanken der Maifeier: Achtstundentag, Weltfrieden, Sozialismus, Arbeitsruhe als Machtmittel des Proletariats – lebendiger denn heute?

Wir stehen mitten in den schwersten wirtschaftlichen Kämpfen. Die Gärung im Kohlenrevier ist nur äußerlich für eine Weile zur Ruhe gekommen, lodert aber unter der Decke weiter. Im Baugewerbe hat der gewaltige offene Kampf begonnen und wird seine Kreise immer weiter ziehen. Die Arbeitslosigkeit, teils als letzter Schatten der schweren Krise, die wir durchgemacht haben, teils als direkte Folge der famosen „Finanzreform", verbreitet in großen Schichten der Arbeiterschaft grauenhaftes Elend; es genügt, zu erwähnen, dass wir im März annähernd 40.000 arbeitslose Tabakarbeiter hatten. Dazu werden jetzt immer neue Schichten hinzutreten, die durch den Kampf im Baugewerbe in Mitleidenschaft gezogen werden. Unter diesen Umständen bekommt unsere alte Losung: der Achtstundentag, neue lebendige Kraft. Als sicherstes, radikalstes Mittel zur Beseitigung der ärgsten Missstände der kapitalistischen Wirtschaft, als ein wahres Rettungsmittel für die Arbeiterschaft wenigstens aus dem tiefsten Elend der Überarbeitung wie der Arbeitslosigkeit, der Hungerlöhne wie der Unsicherheit der Existenz, muss der Gedanke der achtstündigen Arbeit jetzt mit verdoppelter Macht in den Geistern der breitesten Masse einschlagen.

Die Idee des Achtstundentages hat sich bis jetzt von selbst, mit elementarer Gewalt, jeder großen Klassenbewegung des internationalen Proletariats zugesellt, ist wie ein leuchtendes Flammenzeichen aus jeder stürmischen Schlacht zwischen der Arbeit und dem kapitalistischen Staate aufgelodert. In Belgien war es am 1. Mai 1891, aus der Maifeier und der Demonstration um den Achtstundentag, dass der erste große Wahlrechtsmassenstreik seinen Anfang nahm. In Russland stand auf der großen „Charte des Proletariats", mit dem am 22. Januar 1905 die 100.000 Petersburger Arbeiter vor das Zarenschloss anrückten, um die proletarische Freiheit zu fordern, obenan – die Forderung des Achtstundentages, und diese Forderung windet sich wie ein roter Faden durch alle großen und kleinen Schlachten des russischen Revolutionskampfes.

Bei uns bietet die herannahende Maifeier die Möglichkeit, die Losung des Achtstundentages dem politischen Kampfe um das Wahlrecht zuzugesellen, sie innerlich zu verbinden. Als echter großer Klassenkampf des Proletariats muss der Wahlrechtskampf alles zusammenfassen und von allem getragen werden, was in die Lebensinteressen des arbeitenden Volkes eingreift, was in den Herzen der Volksmassen lebt, was ihre Sehnsucht ausdrückt.

Die Maifeier hat zuerst den Gedanken der Arbeitsruhe als eines neuen, modernen Kampfmittels des Proletariats in seinem Vordringen zum sozialistischen Endziel, als gemeinsame Parole des internationalen Proletariats ausgegeben. Die Macht der „verschränkten Arme", die im äußersten Notfall alle Räder für eine Weile zum Stillstand bringt, um den Widerstand des Klassenstaates gegen die gerechten Forderungen der Arbeiter zu brechen, – dies der große, neue Gedanke, der uns mit der Maifeier vor 20 Jahren verkündet wurde. Dieser Gedanke, prinzipiell durch die deutsche Sozialdemokratie auf dem Jenaer Parteitage im Jahre 1905 aufgenommen, hat tatsächlich in den letzten Wochen und Monaten, im Sturm und Drang des Wahlrechtskampfes, in die Geister breiter Schichten des kämpfenden Proletariats Einzug gehalten, hat von dem Bewusstsein der arbeitenden Massen Besitz erobert. Die Maifeier bekommt dadurch selbst einen neuen, tieferen Sinn für das preußische und für das deutsche Proletariat. Mit mehr bewusster Begeisterung wie je müssen in diesem Jahre die Arbeitermassen in Preußen und in Deutschland den befreienden Gedanken der Maifeier begrüßen, wenngleich er in diesem Jahre selbst nicht durch Arbeitsruhe gefeiert wird. Wird doch früher oder später der Augenblick kommen, wo wir auch in Preußen, in Deutschland, im Kampfe um unsere politischen Rechte den Gedanken der Maifeier wahr machen, die Macht des kämpfenden Proletariats durch eine große Arbeitsfeier in entscheidender Weise in die Waagschale werfen müssen.

Die Maifeier ist zugleich ein Ruf nach Weltfrieden und Völkerverbrüderung, ein Protest gegen die brutale Gewalt des Klassenstaates, den Militarismus. Der gegenwärtige Wahlrechtskampf hat den Massen des Proletariats in Preußen wieder die Bedeutung dieser brutalen Waffe des herrschenden Staates so recht zum Bewusstsein gebracht. Der blanke Polizeisäbel und die im Hinterhalt mit scharfer Munition geladene Kanone waren ja die erste Antwort der preußischen Reaktion auf die Forderungen der Arbeiterschaft. Und haben wir es auch durch die unerschütterliche Kampfposition unsererseits fertiggebracht, dass der rasselnde Polizeisäbel vorläufig in die Scheide zurückgesteckt worden ist, so schleppte sich doch noch selbst den vergangenen Demonstrationen ein Rattenkönig von Prozessen gegen unsere Demonstranten und unsere Presse nach, als dessen Folge die Kämpfer um das gleiche Wahlrecht im Gefängnis ihren freventlichen Widerstand gegen die Polizeibrutalitäten noch nachträglich abbüßen müssen. Die Empörung und der Hass gegen die Säbelgewalt des kapitalistischen Staates, als Waffe der Unterdrückung fremder Völker und als Waffe der Versklavung gegen den „inneren Feind", die aufstrebende Arbeiterklasse, müssen in diesem Jahre bei der Maifeier einen lauteren, kräftigeren Ausdruck finden als je zuvor.

Der Same des Sozialismus, des Klassenkampfes, trägt tausendfältige Frucht, seine Körner werden durch alle Winde hinaus gestreut, und auf dem härtesten, unbeackerten Boden keimt schon die erste grüne Saat. Die „christlich-nationalen Arbeiter", die evangelischen Vereine haben die Idee der Maifeier in ihrer Weise übernommen: sie schlagen vor, am 1. Mai eine internationale Kundgebung der Proletarier für den Weltfrieden in Gestalt von Straßenumzügen mit Gesang und gleichzeitigem Gottesdienst in verschiedenen Ländern, zunächst in Deutschland und in England, zu veranstalten. Mit Stolz und mit Freude begrüßen wir diese Zeichen der Zeit: es ist unser Werk, es ist der Siegeszug unserer Ideen, was hier zunächst im schiefen Spiegel der „christlich-nationalen" Weltanschauung erscheint. Und sicher ist es auch ein Echo der allgemeinen Hebung der Kampfstimmung, des Idealismus in den Massen des Proletariats, die wir durch unseren Wahlrechtskampf, durch unsere Massendemonstrationen ausgelöst haben.

Um so freudiger, um so energischer muss in diesem Jahre unser Banner am 1. Mai erhoben werden, das Banner des Sozialismus, und unser „Gottesdienst" für den Weltfrieden: die Demonstration des proletarischen Klassenbewusstseins.

Bis jetzt haben wir die durch Arbeiterbataillone errungene Demonstrationsfreiheit mit den bürgerlichen Demokraten geteilt. Am vorletzten Sonntag erschienen auch diese spärlichen Vertreter der bürgerlichen Wahlrechtsfreunde an unserer Seite. Bei der Maifeier wird der Wahlrechtskampf als proletarische Klassenaktion noch reiner zum Ausdruck kommen. Da werden wir ohne die bürgerlichen Demokraten demonstrieren. Aber da werden neben uns andere, mächtigere und natürlichere Bundesgenossen Schulter an Schulter demonstrieren: die Proletarier ganz Deutschlands und das internationale sozialistische Proletariat. So wird erst unser preußischer Wahlrechtskampf auch nach außen hin seinen richtigen Rahmen erhalten: als ein Abschnitt und eine Etappe des großen internationalen Vormarsches der Arbeiterklasse zum sozialistischen Endziel.

Ein gewaltiges Stück Aufklärung kann also in diesem Jahre durch die Maifeier geleistet werden. Die Agitation für eine machtvolle Massendemonstration am 1. Mai muss unverzüglich einsetzen und mit Anspannung aller Kräfte geführt werden.

Der parlamentarische Abschnitt in der Geschichte der Wahlreform ist zu Ende. Jetzt beginnt die Auseinandersetzung des Proletariats mit der Reaktion von Angesicht zu Angesicht. Die Maifeier ist unsere nächste Kundgebung im Wahlrechtskampfe.

 

Tag(s) : #Militarisme. Rosa Luxemburg, #Impérialisme. Rosa Luxemburg
Partager cet article
Repost0
Pour être informé des derniers articles, inscrivez vous :