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Source Wikipedia. Führende badische Sozialdemokraten, aufgenommen wahrscheinlich 1906 vor der alten Landeshalle in Offenburg. Sitzend von rechts: Emil Eichhorn, Ludwig Frank, Wilhelm Kolb, Georg Monsch. Stehend, erster von rechts: Adolf Geck. Die weiteren Personen sind nicht bekannt.

Source Wikipedia. Führende badische Sozialdemokraten, aufgenommen wahrscheinlich 1906 vor der alten Landeshalle in Offenburg. Sitzend von rechts: Emil Eichhorn, Ludwig Frank, Wilhelm Kolb, Georg Monsch. Stehend, erster von rechts: Adolf Geck. Die weiteren Personen sind nicht bekannt.

 

Franz Mehring: Ein interessanter Fall 17.04.01                                                                                  

https://sites.google.com/site/sozialistischeklassiker2punkt0/mehring/1901/franz-mehring-ein-interessanter-fall

[Die Neue Zeit, 19. Jg. 1900/01, Zweiter Band, S. 65-68. Nach Gesammelte Schriften, Band 14, S. 392-396]

 

Der Aufsatz, den die Genossin Luxemburg in der „Neuen Zeit" über die badische Budgetabstimmung veröffentlicht hat, ist dem Karlsruher Parteiorgan nicht angenehm gewesen. Es gibt seinem Unmut einen so kräftigen Ausdruck, dass man sich einer betrübenden Wahrnehmung nicht verschließen kann: der Wahrnehmung nämlich, dass die Bereitwilligkeit, je nach den Umständen höfische Repräsentationspflichten zu erfüllen, nicht unbedingt veredelnd auf den Verkehr mit gewöhnlichen Menschenkindern wirkt.

 

Der Karlsruher „Volksfreund" meint, man könne die „revolutionären Schrullen dieser Dame" unbeachtet lassen. Statt aber einer so humanen Anwandlung zu folgen, fährt er vielmehr fort, es sei ein unerhörter Vorgang in der Partei, dass Genossen, die schon zu einer Zeit für die Ausbreitung der Partei tätig gewesen seien, wo diese polnische Prinzipienwächterin noch nicht auf der Welt war, in einem offiziellen Organ der Partei in dieser frechen Weise angepöbelt und heruntergerissen würden. „Sehr bedauerlich ist es, dass unsere Wochenschrift nachgerade gut genug ist, dem literarischen Schutt dieses Fräulein Luxemburg als Ablagerungsstätte zu dienen. Es ist hohe Zeit, dass den Stänkereien dieser Dame von oben herunter entgegengewirkt wird." Wir wissen zur Zeit nicht, ob die Genossin Luxemburg oder die Redaktion der „Neuen Zeit", die es zunächst angeht, hierauf zu reagieren für angezeigt halten werden; an dieser Stelle soll der Fall nur unter seinen allgemeinen Gesichtspunkten betrachtet werden.

 

Um von hinten zu beginnen, so fordert der „Volksfreund" mit dürren Worten, dass die Genossin Luxemburg und die „Neue Zeit" unter Parteizensur gestellt werden. Er will damit wohl würdig den Tag feiern, an dem gerade vor sechzig Jahren ein gewisser Karl Marx jeden Schrei nach Zensur mit dem erschöpfenden Worte abtat: „Es ist ein indiskreter Schrei des bösen Gewissens." Dafür wurde den „Stänkereien dieses Herrn von oben herunter" allerdings ein schnelles Ende gemacht, ein so gründliches Ende, wie es der „Volksfreund" den „Stänkereien dieser Dame" wünscht, auch „von oben herunter". Es ist sicherlich eine anerkennenswerte Konsequenz, wenn er eine bürokratisch-reaktionäre Forderung auch gleich in bürokratisch-reaktionären Stil kleidet. Wenn schon, denn schon!

 

Er findet es nun aber weiter sehr „bedauerlich", dass die „Neue Zeit" gerade gut genug ist, dem „literarischen Schutt dieses Fräulein Luxemburg" als Ablagerungsstätte zu dienen, welcher Schutt dann noch näher als freches Anpöbeln und Herunterreißen alter Parteigenossen erläutert wird. Unseren Lesern ist der Aufsatz der Genossin Luxemburg bekannt, und sie mögen selbst urteilen, ob und wo darin sich nur ein Wort findet, das als freches Anpöbeln und Herunterreißen alter Parteigenossen selbst mit der kühnsten Interpretationskunst gedeutet werden könnte. Der Aufsatz ist frisch und lebendig geschrieben, in dem kernigen Stile, um den wir die Genossin Luxemburg beneiden – mein Gott, ja! aber muss denn schon innerhalb der Partei in dem langweilig-ledernen Geheimratsstil verhandelt werden, mit „dürfte", „möchte", „könnte", „sollte", mit „ohnvorgreiflichem Erachten" und „ohnmaßgeblichem Urteil"? Wenn in einer Partei erst das Nasen rümpfende Gequengel über so genannte „vornehme Kampfweise" anhebt, dann ist immer etwas faul im Staate Dänemark.

 

Die schärfste Stelle in dem Aufsatze der Genossin Luxemburg wird von dem „Volksfreund" ganz zutreffend mit seiner Anspielung auf ihren angeblichen „literarischen Schutt" hervorgehoben. Sie sagt von der Tendenz, das Verhalten der Sozialdemokratie zur Frage der Taktik, das heißt der Entscheidungen von Fall zu Fall, nach reinen Zweckmäßigkeitsgründen zu machen: „Man scheint dabei von der naiven Vorstellung auszugehen, dass es genügt, irgendeine Frage als taktische zu bezeichnen, um damit einen Freibrief für alle Verstöße gegen das Programm und die Grundsätze der Partei zu bekommen. Die ‚Taktik' wird nach dieser Auffassung sozusagen als ein stiller Winkel ohne polizeiliche Warnungstafel gedacht, wo man nach Herzenslust jeden Schutt und Unrat abladen darf." Dieser Vergleich ist gewiss nicht schmeichelhaft – für den, der sich dadurch mit Recht getroffen fühlt; an und für sich ist er nur die drastische Kennzeichnung einer sachlich unzulässigen Taktik. Wenn aber der „Volksfreund" in den allgemeinen Satz freche Anpöbelungen alter Parteigenossen hineindichtet, so zeigt er dadurch, dass ihn nicht das Drastische, sondern das Treffende des Vergleichs beunruhigt.

 

Kommen wir zu dem Argument des Alters und der Jugend! Wir fürchten, dass wir die Genossin Luxemburg von dem Vorwurf der Jugend nicht entlasten können, aber da sie sich mit jedem neuen Tage beeifert, diesen Fehler auszugleichen, so sollte der „Volksfreund" einige Nachsicht mit ihr haben. Er selbst aber ist das Opfer einer „revolutionären Schrulle", wenn er das allerdings schon aus mittelalterlich-revolutionärer Zeit überlieferte Sprichwort: Alter schützt vor Torheit nicht, in den neuen Programmsatz umprägen will: Alter schützt vor Torheit. Doch um seinen Scherz womöglich ernsthaft zu nehmen, so ist dieser sein Trumpf eine epigonenhafte Anleihe bei der freisinnigen Taktik. Wie oft, mindestens Hunderte von Malen, wenn frische Kräfte innerhalb des Freisinns auf eine konsequent-demokratische oder konsequent-liberale Taktik drängten, ist ihnen auf den Mund geschlagen worden mit dem Ukas: „Was, ihr Gelbschnäbel, ihr Kiekindiewelts, die ihr noch nicht geboren wäret, als unsere Waldeck, unsere Hoverbeck, unsere Richter, unsere Rickert schon für die Freiheit kämpften, ihr wollt diese verdienten Männer anpöbeln und herunterreißen? Fort mit euch in die Wolfsschlucht!" Die pünktliche Ausführung dieses Programms hat es denn auch fertig gebracht, dass die Freisinnige Partei gänzlich von unreifer Jugend gesäubert ist und dass sie als ehrwürdige Greisin den Vorzug genießt, schon bei lebendigem Leibe als Gespenst herum zu wandeln. Wir wissen selbstverständlich, dass dies Schicksal niemals das Schicksal der Sozialdemokratischen Partei sein kann, aber nur deshalb nicht, weil es in ihr die „unpraktischen" Prinzipien immer über die prinziplose „Praxis" davontragen werden. Die Genossen, die im „Volksfreund" ihre Donnerkeile gegen die Genossin Luxemburg schleudern, sind allerdings mit ihren „praktischen" Siebenmeilenstiefeln glücklich schon an dem Rande des Sumpfes angelangt, worin die Freisinnige Partei umgekommen ist.

Bleiben noch die „revolutionären Schrullen dieser Dame"! Damit wird der Genossin Luxemburg ein allzu schmeichelhaftes und wirklich sehr übertriebenes Kompliment gemacht. Die „revolutionären Schrullen", die sie in ihrem Aufsatz über die badische Budgetabstimmung geäußert hat, waren weiter nichts als die Prinzipien, denen die Partei seit dem ersten Tage ihres Entstehens gefolgt ist. Sie sind sogar schon zwei Jahrzehnte, ehe es eine sozialdemokratische Parteiorganisation gab, in den vierziger Jahren des vorigen Jahrhunderts von Marx und Engels entwickelt worden, denen die Genossin Luxemburg weit entfernt gewesen ist, das Prioritätsrecht dieser „revolutionären Schrullen" streitig zu machen. Wir sind natürlich auf den ungemein geistreichen Einwand gefasst, dass es die schlechtesten Schüler von Marx und Engels seien, die nur die Worte der Meister nachzubeten wüssten, ein Einwand, der sich besonders imposant im Munde derer ausnimmt, die sich auch nur auf die leichte Kunst verstehen, hinter jedes Wort von Marx und Engels ein Fragezeichen zu machen, aber eine Vertiefung der sozialistischen Probleme vermögen wir doch nicht darin zu erkennen, dass der Zensurstift „von oben her" angefleht wird, wenn in der Wochenschrift der Partei die Prinzipien von Marx und Engels vertreten werden.

 

Ein Muster hat der „Volksfreund" freilich auch bei seinen zornigen Worten über die „revolutionären Schrullen"! Man muss nur etwas weit zurückgehen, um es zu finden, und wir denken nicht daran, den „Volksfreund" deshalb eines Plagiats zu beschuldigen; wir möchten fast einen körperlichen Eid darauf ablegen, dass er es nie gesehen hat, sintemalen es in einer heute gänzlich verschollenen Literatur begraben ist. Wir meinen die Schriften der Ruge, der Bauer, der Karl Grün, der Heinzen, und wie sie sonst noch heißen, in denen Marx und Engels bekämpft wurden, weil sie die Prinzipien entwickelten, die seit Jahrzehnten die Wegweiser der modernen Sozialdemokratie gewesen. Der „Volksfreund" darf auch nicht annehmen, als ob wir ihn durch den Vergleich mit jenen Männern herabsetzen wollten; es waren in ihrer Weise sehr respektable Kerle, wahre Mammuts an Gesinnung und Talent und Kenntnissen, verglichen mit dem, was sich heute als bürgerliche „Arbeiterfreundschaft" aufspielt; selbst das Buch Karl Grüns über den französischen Sozialismus, das Marx so vernichtend kritisiert hat, war noch eine wahre Fundgrube an Wissenschaft, verglichen mit den Feuilletons des Herrn Sombart über den deutschen Sozialismus, die so viele „praktische" Bewunderer gefunden haben.

 

Liest man nun aber die Schriften der Ruge und Grün und Heinzen, so findet man in ihrer Polemik gegen Marx und Engels dieselben Redensarten über „revolutionäre Schrullen", über die „Stänkereien dieser Herren", über das „Herunterreißen" verdienter Greise durch junge und unerfahrene Dachse, womit der „Volksfreund" die Genossin Luxemburg bombardiert. Wir werfen ihm, um es noch einmal zu wiederholen, kein Plagiat vor; wir glauben gern, dass er diese originellen Kraftworte aus eigenem Busen geschöpft hat, aber die gleichen Ursachen erzeugen die gleichen Wirkungen. Die Ruge und Genossen wollten keine konsequente und prinzipielle Arbeiterpolitik; sie glaubten aus „praktischen" Gründen, mit einer allgemeinen Opposition, worin Krethi und Plethi in gleicher Gemütlichkeit und Gesinnungstüchtigkeit miteinander marschieren, mehr ausrichten zu können, und da sie den von Marx und Engels geführten Nachweis, dass auf diesem Wege im Leben nichts auszurichten sei, nicht mit Gründen widerlegen konnten, so verlegten sie sich – sagen wir höflich – aufs Schelten. Zweierlei jedoch ist ihnen als mildernder Umstand anzurechnen: erstens einmal hatten sie die tatsächliche Erfahrung, dass auf dem von ihnen gewollten Wege wirklich nichts auszurichten sei, noch nicht vor Augen gehabt, und zweitens haben sie den Zensurstift „von oben her" niemals auf Marx und Engels herabgefleht. Das ging den vormärzlichen „Praktikern" doch zu sehr gegen die Ehre.

 

Soviel über diesen interessanten Fall, den wir nicht um der Genossin Luxemburg und nicht um des „Volksfreundes" willen angeschnitten haben, ebenso wenig deshalb, weil uns über das gründliche Fiasko der „praktischen" Politik je auch nur einen Augenblick ein Zweifel gekommen wäre, sondern nur aus dem Grunde, weil es wirklich von Interesse sein mag, von Zeit zu Zeit an einem typischen Beispiel zu zeigen, zu welchen erhebenden Konsequenzen die „staatsmännische Praxis" einer revolutionären Partei führen mag oder vielmehr führen muss.

 

 

Tag(s) : #Réformisme. Rosa Luxemburg
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